Was sind die wichtigsten Voraussetzungen einer Arrival City? Laut DAM (in seinem gestrigen Newsletter anlässlich der Eröffnung des Deutschen Biennale-Pavillons): „Kostentengünstiger Wohnraum, Zugang zu Arbeitsplätzen, kleinteilige Gewerbeflächen, gute Verkehrsanbindungen, Netzwerke anderer Einwanderer derselben Kultur und nicht zuletzt eine Haltung der Toleranz, die auch das Akzeptieren informeller Praktiken einschließt.“ Da ist es also, dieses Wort, wieder: TOLERANZ!
„Toleranz“ – Was ist das? Die Frage stellte sich Voltaire im einschlägigen Artikel des Dictionnaire Philosophique vor zweieinhalb Jahrhunderten: „Toleranz ist die Lebensader der Humanität. Wir alle sind voller Schwächen und Irrtümer: Vergeben wir uns gegenseitig unsere Dummheiten! – dies sei das erste Gesetz der Natur“. Toleranz, das ist zuallererst Vergebung für schuldhaftes Verhalten der Anderen – Schwäche, Irrtum, Dummheit, so Voltaire: ein Gebot der Menschlichkeit (keine Kernkompetenz der Kirche). Der alte Goethe hingegen hatte seine Zweifel an ihrer humanitären Funktion. Er setzte Toleranz mit Duldung gleich und meinte, diese sei herablassend, beleidigend. In den Siebzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts spitzte dann Pier Paolo Pasolini letzteres Argument zu: „Du musst wissen: Toleranz ist nur und stets nominell. Ich kenne kein einziges Beispiel wirklicher Toleranz. Das liegt daran, dass wirkliche Toleranz ein Widerspruch in sich wäre. Zu sagen, jemand wird ‚toleriert‘, ist dasselbe als wenn man sagen würde, er sei ‚verurteilt‘. Die Toleranz ist in Wirklichkeit eine verfeinerte Form der Verurteilung. Man mag zwar der ‚tolerierten Person‘ sagen, (…) sie könne tun, was sie wünsche, sie habe das Recht, der eigenen Natur zu folgen, dass ihre Zugehörigkeit zu einer Minderheit nicht im Geringsten Unterlegenheit bedeute usw. Doch ihre Differenz – oder besser ihr ‚Verbrechen‘, anders zu sein – bleibt unverändert sowohl in den Augen derjenigen, die sich entschlossen haben, sie zu tolerieren, als auch derjenigen, die sich entschlossen haben, sie zu verurteilen“ (Pasolini, Lutherbriefe, 20. März 1975). So ist es mit der Toleranz, sie schaltet sich dort ein, wo Differenz, wo Anderssein als Verbrechen eingestuft wird. Toleranz bedeutet also Heterophobie light – und ist (stricto sensu) Vestibül zu allen möglichen Rassismen. In seinem Geleitwort zum Grundgesetz (Berlin 2015) merkt der Bundestagspräsident, Prof. Dr. Norbert Lammert, an: „Unser Staat ist angewiesen darauf, dass die Idee der Menschenwürde, die Grundwerte der Freiheit, Gleichheit und Toleranz gelebt werden“. Liest man den Verfassungstext durch, so begegnet man dem Wort (Toleranz) kein einziges Mal – klugerweise. „Freiheit“, „Gleichheit“, „Gerechtigkeit“ , ja! – aber „Toleranz“ nirgendwo. Das hat seine Gründe. Wenn man die Toleranz nicht als „Erlaubniskozeption“, sondern als „Achtungskonzeption“ (Rainer Forst) deutet, hört nämlich Toleranz sofort auf, Toleranz zu sein. Wenn aber nun Achtung für die jeweilige Mehrheit eine Zumutung ist, wie Habermas meint, so ist es ihre Aufgabe, mit ihr fertig zu werden.